Paris

Photo: © Serge D’IGNAZIO

Im Rahmen des Langzeitprojekts KUNST AM WEGESRAND, das Anette C. Halm bereits in Deutschland (2021 in Nürtingen, Ostfildern, 2022 in Baden-Baden und 2023 in Böblingen) in ortspezifischen Zuschnitten realisierte oder plant, wird sie von 9. August 2023 – 16. Oktober 2023 Performances durch Paris veranstalten und am 8. Oktober einen “Marche Rive Gauche“ durch Paris organisieren, in Zusammenarbeit mit zahlreichen Künstler*innen, die in Performances und Aktionen in und um historische Baumonumente vorführen werden. Die Orte des Geschehens sind u.a. der Palais Royal verbunden über die Académie française, der Jardin du Luxembourg und nicht zuletzt das Panthéon. Ziel ist es, auf dem Weg durch die Stadt nicht nur auf die Geschichte der Frauenrechte und den Kampf um die Befreiung der Frauen aus ihrer Abhängigkeit von einer männlich dominierten Gesellschaft hinzuweisen, sondern auch an Frauenrechtlerinnen zu erinnern, die gerade auch in Paris aktiv waren. Anette C. Halm hat deren Spuren in einem begleitenden, malerischen Projekt besucht – auf den historischen Friedhöfen der Stadt. Beide Werkgruppen bilanzieren den Paris-Aufenthalt der Künstlerin auf sehr authentische Weise, die einmal dem gelebten Leben gilt und zum anderen auf die Zukunft gerichtet ist. Die Stadt der Liebe entpuppt sich dabei auch als Stadt der Frauenemanzipation – in all ihren Licht- und Schattenseiten.

Die Performances

Mittwoch
09.08.2023
09:00 Uhr

Père-Lachaise

Les Grandes Femmes
Diese Videoarbeit ist der Auftakt zum „Marche Rive Gauche“, denn hier an diesem Ort ruhen viele „Grandes Femmes“. So soll dieses Werk ein Ort des Gedenkens und zugleich eine Hommage an all die „starken Frauen“ sein, die sich im Kampf um die Abschaffung alter Konventionen durchgesetzt haben. Der Kampfruf der Französischen Revolution, der bis heute die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beschwört, wird beim „Marche“ – in Erfüllung der Gleichheit – im dritten Teil eine kleine, aber konsequente und logische Umwidmung erfahren, die der ganzen Aktion als Motto innewohnt, in tänzerischer Empfindung: Freiheit, Gleichheit und … Menschlichkeit.

Text: Günter Baumann, Dancer: Hsing-Ya Wu, Piano: Götz Payer, Kamera: Anette C. Halm

Anette C. Halm

Dancer & Coreographer: Hsing-Ya Wu

Die Performances

Sonntag
08.10.2023
11:00 Uhr

Palais Royal

Womankind
On marche … pour les femmes. Anette C. Halm inszeniert zusammen mit den Künstler*innen ihres Projektes sowie mit Gästen und anderen TeilnehmerInnen ihre Performance „Womankind“ zu Ehren der entschiedenen Frauenrechtlerin Olympe de Gouges, d. i. Marie Gouze (1748-1793). Die Revolutionärin verfasste 1791 die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ und wurde zwei Jahre danach Opfer des Robbespierre’schen Terrorregimes – sie starb unter der Guillotine. Mit geballten Fäusten als Kampfzeichen des Feminismus liegt die Künstlerin am Boden: angespannt, entschieden: wissend, dass Olympe de Gouges hier 1791 die ›Rechte für die Frau‹ verlesen hat. Von hier aus wird Anette den Marsch in Gang setzen, mit den Worten:

Pour les femmes!
Pour les droits des femmes!
Liberté! Egalité! Humanité!

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Anette C. Halm

Sonntag
08.10.2023
11:00 Uhr – Ende

Streaming aus Seoul – Café Flore

Während des Marschs

In-fragilité
Das Märchen vom Märchen mit dem gläsernen Schuh. Wie einen Traum könnte man das Bild vom Hochzeitsschuh aus Glas auffassen, wenn dieser nicht so entsetzlich unbequem und unangenehm zu tragen wäre. Yena Kim bezieht sich mit ihrer Glasschuh-Performance auf die Märchen von Grimms Aschenputtel und Walt Disneys Cinderella, die ihrerseits auf Charles Perrault zurück, der im Jahre 1697 das Märchen „Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre“ veröffentlichte. Die Performance entlarvt – mit Schuhen aus Glas – die gläsernen, unsichtbaren Schuhe als Zeichen der verdeckten Abhängigkeit und Diskriminierung.

Text: Günter Baumann, Kamera: Seunghwan Yoon
Assistenz: Jiwon Yun, Photo: © Seunghwan Yoon

Yena Kim

Mit freundlicher Unterstützung von Hyung Jin Park
Glasatelier: FLUX
instagram@glassart_flux

 

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Sonntag
08.10.2023
11:30 Uhr – Ende

Carrousel du Louvre Während des Marschs

Über die Naht
Über die Naht sich annähern. Die Performance von Lana Koeters findet im Hintergrund statt oder besser gesagt: inmitten des Geschehens. Während die anderen Performer*innen in Aktion sind, sucht sich die Künstlerin zufällige Paare, die sie in einem limitierten Zeitraum zusammennäht – sie agiert nur wenn die Zuschauer- bzw. die Marschgruppe ruht, um sich die anderen Beiträge anzuschauen. Mit Nadel und Garn geht sie den Nebenprotagonist*innen ans Hemd, an die Jacke oder an die Hose. So entstehen kurzfristig lebende Skulpturen, die sich durch die genähte Gleichstellung hervorheben – und doch sie selbst bleiben.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Lana Koeters

Sonntag
08.10.2023
12:00 Uhr

Académie française

Faites Votre Jeu
Lebe dein Leben, mach dein Spiel. Britta M. Ischka schlüpft in die Rolle der frühen Frauenrechtlerin Marie de Gournay (1565-1645), die unverblümt und mit etlichen Körben für die Männer alleinstehend blieb. Der Geist des Menschen ist weder weiblich noch männlich, so das Credo der Schriftstellerin und Philosophin, die damit für Selbstbestimmung und Entfaltung der eigenen Möglichkeiten eintrat. Ihre Nachfolgerin im Geiste wird sich mit einem Stofffächer zeigen, der sich über die nach oben kreisenden Arme ausfalten lässt, bis hin zur Pose der Vitruvianischen Figur des Leonardo da Vinci. Wo könnte man eine solche Haltung besser einnehmen als vor der Académie française?

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Britta M. Ischka

Sonntag
08.10.2023
12:30 Uhr

Le Procope

The Fe-Male Gaze
Über die Anstößigkeit der Ice-Cream. Sissi Madelaine Schöllhuber verknüpft die Kulturgeschichte des Eis-Essens mit dem Umgang beim Lecken in der Öffentlichkeit. Man geht davon aus, dass der Italiener Francesco Procopio dei Coltelli im 17. Jahrhundert das erste Eiscafé, Le Procope in Paris, aufmachte und erstmals die süße Verführung kreierte. Heute hängt in dem Restaurant der letzte Brief, den Marie-Antoinette am Tag ihrer Hinrichtung geschrieben hat. Ob sie je Eis aß, sei dahingestellt – ob es damals als obszön galt, wenn Frauen Eis aus der Waffel leckten, bleibt eine offene Frage. Dass es noch in unserer Zeit in verklemmten Kreisen so gesehen wurde, nimmt Sissi auf die Schippe, oder könnte man sagen: auf die Waffel?

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Sissi-Madelaine Schöllhuber

Sonntag
08.10.2023
13:00 Uhr

Jardin du Luxembourg Fontaine Médicis

Dem Unerreichbaren nahe
Ohne Korsett tanzt es sich leichter. Die Performance von Beate Herdtle ist eine Hommage an Isadora Duncan (1877 – 1927). Die legendäre Ausdruckstänzerin revolutionierte den Tanz durch freie natürliche Bewegungen, gegenüber der abendländischen Bühnentradition mit Spitzentanz und Korsett. Die ausdrucksstarken Bewegungen der Künstlerin am Fontaine de Médici zeigen die Befreiung vom Korsett wie eine „Fontäne des Lichts“ (Duncan, 1927) auf, die sich in Form von Wellen frei in den Raum verströmen, gleich eines aus der Fontaine de Médici sich ausbreitenden Wasserstrahls. Frauen entledigten sich bereits während des Ersten Weltkrieges des Korsetts, um wehrhafter zu sein. Diese Performance ist ein Statement für ihre politische Botschaft.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Beate Herdtle

Sonntag
08.10.2023
14:00 Uhr

Panthéon

Hair Cut
Haare für die Gleichberechtigung der Frau. Ezgi Böttger nähert sich dem weihevollen Ort des Panthéon im schlichten Kleid und bringt ihm ihren abgeschnittenen Haarzopf als eine Art Opfer dar. Damit erinnert sie daran, dass seit der Beisetzung von Sophie Berthelot 1907 im Panthéon gerade mal sechs Frauen den Weg in die heiligen Hallen gefunden haben, zuletzt Josephine Baker, die 2021 zwar nicht leibhaftig, aber mit einem Kenotaph hier ihre Ruhe fand – gegenüber 75 Männern. Doch wer würde in unseren Tagen nicht auch daran denken, dass sich im Iran mutige Frauen ihre Haare abschnitten, um gegen den Kopftuchzwang zu demonstrieren.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Ezgi Böttger

Sonntag
08.10.2023
14:30 Uhr

Während des Marschs

Du musst mehr tun, als nur ein paar Blümchen malen
Der schwarze Schleier birgt Geheimnisse. Immer wieder gern und wirksam in der Kunst, insbesondere im Film, eingesetzt, wird er auf dem Marsch Aufmerksamkeit wecken. Angela Vanini wird diese Momente über die gesamte Dauer der Aktion verschleiert ein- und untermischen – als sichtlich unsichtbare Person. Sie spielt aber auch auf die oft verborgene Unterdrückung hin, weshalb sie sich auch mit Ketten behängt: Last, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Symbol für die auferlegte Enge der weiblichen Entfaltungsmöglichkeiten.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Angela Vanini

Sonntag
08.10.2023
15:00 Uhr

Place de la Sorbonne

Säbeln, Knebeln, Hebeln
Der Kohl macht’s. Die Vereinbarung von Mutter- und Künstlerinnen-Sein oder auch die Schwierigkeit, beides unter einen Hut zu bringen, ist das Thema von Marie Zbikowska. Unter dem Aspekt der Doppelfelder „Kunst und Arbeit“, „Kunst und Mutterschaft“, „Arbeit und Mutterschaft“ und „Arbeit und Erfolg“, die sie mit einschlägigen französischsprachigen Texten vorträgt, während sie – gekleidet mit einem Laborkittel – Kohl isst. Die reichhaltige, mal negative, mal positive Symbolik des Kohls gibt der Aktion etwas Rätselhaftes. Der Alltag der Doppelbelastung und die Arbeit selbst sollen zur Sprache kommen, womit die Künstlerin im 21. Jahrhundert Verbesserungen einfordert, die längst fällig sind.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Marie Zbikowska

Sonntag
08.10.2023
15:30 Uhr

Tribunal Correctionnel de Paris

Beinfreiheit
Anziehung ist nicht eine Frage der freizügigen Kleidung. Andrea Isa erinnert in ihrer Performance an das bis 2013 geltende Verbot für Frauen in Paris Hosen zu tragen. Die Französinnen haben sich nicht daran gehalten, aber die Existenz einer solchen unausgesprochenen Nötigung zu Rock und Kleid und damit die Entscheidungsunfreiheit fordert die Parodie heraus. Die Künstlerin verweigert die von Männern herbeiphantasierten weiblichen Reize mit mehreren übereinander getragenen Hosen, die wie unförmige Schichtungen an Trägern hängen. Marlene Dietrich (1901-1992) lässt grüßen, vor 90 Jahren sagte sie: „Zuerst zeigte ich meine Beine, und die Öffentlichkeit war entrüstet, nun verstecke ich meine Beine, und das entrüstet sie auch.“ 

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Andrea Isa

Sonntag
08.10.2023
16:30 Uhr

Cité internationale des arts

Danae_2023
Rollentausch der Danae. Bekanntlich erschien Zeus seinen vielen Geliebten in allerhand Verkleidungen und zauberhaften Erscheinungen. Danae, die von ihrem Vater eingesperrt worden war, begegnete er in Form eines Goldregens. Fabian Widukind Penzkofer bricht den Mythos auf, der doch nur die Omnipotenz des Göttervaters zur Schau stellen sollte, indem er sich selbst in Danae verwandelt – oder wäre er vielleicht deren Zwillingsbruder? – und sich selbst unter einer profanen Wasserdusche zur Schau stellt. Der mythenbegleitende (männliche oder womöglich weibliche?) Voyeurismus, den insbesondere die Kunstgeschichte weidlich auf die Leinwand brachte, wird hier doppelt herausgefordert.

Text: Günter Baumann, Kamera: Jürgen Bubeck, Photo: © Serge D’IGNAZIO

Fabian Widukind Penzkofer

Mit freundlicher Unterstützung durch das Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die Cité Internationale des Arts Paris, die SV SparkassenVersicherung, die Stiftung der Landesbank Baden-Württemberg, die Marli Hoppe-Ritter Stiftung, die Kreissparkasse Böblingen und den Kunstverein Böblingen e. V..

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