Genua

Miti Mutamenti Memoria (Mythen, Mutationen, Memoria)

Die Kunst am Wegesrand, die Anette C. Halm zum Motto ihrer Performance-Märsche in
Nürtingen, Böblingen oder Ostfildern machte, zieht weitere Kreise: Nach Paris, wo die Künstlerin
2024 ihr Cité-Stipendium absolvierte, steht nun Genua auf dem Programm. Zusammen mit
zahlreichen Kunstkolleg*innen, die teilweise schon in anderen Städten mit dabei waren, nimmt
sie die Stadt in Italien, „La Superba“ – die Stolze, beim Wort. Und das führt den Namen der Stadt
zurück auf den doppelgesichtigen Janus: topografisch mit Blick aufs Meer und ins Hinterland,
kulturgeschichtlich die mythische Vergangenheit wie die industrielle Gegenwart vor Augen und
nicht zuletzt – das ist ein Haupanliegen Anette C. Halms – die disparate Haltung der Frau
gegenüber: Femizide auf der einen Seite, eine besondere Marienverehrung auf der anderen
Seite. So wird am Wegesrand von Genua demonstrativ das rotkreuzige Stadtwappen mit einem
aufgesprayten Kreis zum feministischen Zeichen, wie auch Botticellis berühmte „Geburt der
Venus“ mit dem vergessenen Modell der Göttin konfrontiert wird, eine Genueserin, deren
Inkarnation renaissancistischer Schönheit womöglich einmal in der dortigen Kirche S. Torpete
hing oder auch nur dort hängen sollte. Die Geschichten der Aktionen ranken sich um Fiktionen
und Fakten, Friedensappelle und Befreiungsgesten, um Bücher mit geistlosen und geistreichen
Inhalten sowie um fragile Glasschuhe und fantasievoll bemalte Gewänder. Die Malerin und
Aktionskünstlerin Anette C. Halm zeigt einmal mehr Abgründe und glorreiche Züge einer Stadt,
die auch durch die Widersprüche liebens- und lebenswert ist.
 

Die Performances

Sonntag
20.10.2024

Piazza de Marini

La Superba
Britta M. Ischka erschafft die Symbolfigur von Genua: »La Superba«. In einer prächtig bemalten Robe, die von der vielfältigen Vergangenheit der Stadt erzählt leitet sie den Marsch an. Mit ihrer eindrucksvollen Präsenz verkörpert sie die Stärke und Fragilität, Vergangenheit und Gegenwart der Stadt voller Mythen und Geschichten.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Britta Ischka

Sonntag
20.10.2024

Piazza de Marini

PIUMA
Die schwarz gekleidete Andrea Isa tritt mit einer schwarzen Sturmhaube auf an der Piazza de Marini und verunsichert die umstehenden Männer durch betont friedliche Gesten: Schweigend überreicht sie weiße Federn wie Trophäen an die Leute. Die Feder wird zum Symbol des Friedens, der aggressionsfreie Gestus zum wahren Kampf für Menschen- und Frauenrechte. Die Aktion erinnert an das ›Genueser Feministische Kollektiv« aus dem Jahr 1974.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Andrea Isa

Sonntag
20.10.2024

Durante la marcia

Gretl
Die Diskriminierung der Frau durch den Mann hat immer mit Gewalt zu tun, die in Femiziden gipfeln. Diese perfide Tötung hat in Italien, Deutschland und Großbritannien eine erschreckende Zahl erreicht. Katrin Kinsler erinnert nicht nur an Giulia Cecchettin, die 2023 umgebracht wurde, sondern prangert die Perversion des Femizids sinnfällig an: In Umkehrung der Geste, einer Frau und Angebeteten Blumen zu schenken, zerstört sie mutwillig nach und nach die Blumen eines Straußes, bis er weg ist.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Katrin Kinsler

Sonntag
20.10.2024

Piazza Cattaneo

Myth & Muse (Mito & Musa)
Jeder kunstsinnige Mensch kennt Sandro Botticellis »Geburt der Venus«, bewundert die dargestellte Göttin, ohne zu realisieren, dass ein profanes weibliches Modell dahinter stand. Sissi-Madelaine Schöllhuber gibt dieser Frau, Simonetta Cattaneo Vespucci ihre Rechte als Modell, indem sie im Bikini vor der Patronatskirche der Genueser Familie Della Volta, S. Torpete, posiert. Hintergedanke der lebendigen Skulptur ist, dass das berühmte Gemälde einst hier hing und dort wieder hängen sollte.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Sissi-Madelaine Schöllhuber

Sonntag
20.10.2024

Cattedrale di San Lorenzo

Satman
Der mittelalterliche Theologe Petrus Comestor war wohl belesen, blieb aber bei seiner einfältigen Behauptung, der Satan müsse eigentlich eine Frau sein. Überhaupt verortete er das Böse im weiblichen Geschlecht. Das lässt Fabian Widukind Penzkofer nicht auf sich sitzen. Zur Ehrenrettung der Frau mimt er die Rolle des ›Satman‹, teils Mann, teils Frau, bewaffnet mit symbolträchtigen Äpfeln.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Fabian Widukind Penzkofer

Sonntag
20.10.2024

Piazza delle Erbe

Vecchina di Vico dei Librai
Die Legenden Italiens sind voller Poesie. Eine davon erzählt von der »Vecchina di Vico dei Librai«, einer alten Frau, die in einer Genueser Gasse voller Bücherläden wohnte und alle paar Jahre als guter Geist einer vergangenen Zeit wiederkehrt. Angela Vanini spielt die alte Frau, wie sie mit alten Büchern die Piazza delle Erbe überquert und die Passanten nach der ›Vecchina« fragt und die Bücher auf ihrem Weg fallen lässt.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Angela Vanini

Sonntag
20.10.2024

Piazza de Ferrari

 

Metamorfosi
Anette C. Halm macht aus dem Stadtwappen ein Fanal. Das rote Kreuz des heiligen Georg auf weißem Grund ziert die Flagge Genuas. Genau da setzt die Künstlerin an. Ein darüber gesprayter Kreis macht aus dem Kreuzzeichen das Venus-Symbol der Frau. Dem Kreis wird im Laufe der Aktion eine gereckte Faust entgegen gehalten, die kämpferisch für die Gleichberechtigung und für die Frauenrechte einsteht.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Anette C. Halm

Sonntag
20.10.2024

Pozzo di Giano

In-fragilité III
Der doppelgesichtige Gott Giano wird von Genua vereinnahmt – das lateinische Wort ›ianua‹ ist einer der Patenbegriffe der Stadt, die auch mit zwei Gesichtern auftritt: das eine zum See hin, das andere den Bergen zu. Yena Kim huldigt dem ambivalenten Gott der Pforten, des Anfangs und des Endes sowie des Wandels – ein Weg auch der Diskriminierung. Sie wird bis zum Brunnen aus in gläsernen Schuhen dem Marsch folgen, bis das Glas bricht: die Geschichte und der Mythos können schmerzhaft sein.

Text: Günter Baumann, Fotografie: Jürgen Bubeck, Video: Anette C. Halm

Yena Kim

Mit freundlicher Unterstützung durch das Media Art III Museum Genua (https://maiiim.it/)

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