Miti Mutamenti Memoria (Mythen, Mutationen, Memoria)
Nürtingen, Böblingen oder Ostfildern machte, zieht weitere Kreise: Nach Paris, wo die Künstlerin
2024 ihr Cité-Stipendium absolvierte, steht nun Genua auf dem Programm. Zusammen mit
zahlreichen Kunstkolleg*innen, die teilweise schon in anderen Städten mit dabei waren, nimmt
sie die Stadt in Italien, „La Superba“ – die Stolze, beim Wort. Und das führt den Namen der Stadt
zurück auf den doppelgesichtigen Janus: topografisch mit Blick aufs Meer und ins Hinterland,
kulturgeschichtlich die mythische Vergangenheit wie die industrielle Gegenwart vor Augen und
nicht zuletzt – das ist ein Haupanliegen Anette C. Halms – die disparate Haltung der Frau
gegenüber: Femizide auf der einen Seite, eine besondere Marienverehrung auf der anderen
Seite. So wird am Wegesrand von Genua demonstrativ das rotkreuzige Stadtwappen mit einem
aufgesprayten Kreis zum feministischen Zeichen, wie auch Botticellis berühmte „Geburt der
Venus“ mit dem vergessenen Modell der Göttin konfrontiert wird, eine Genueserin, deren
Inkarnation renaissancistischer Schönheit womöglich einmal in der dortigen Kirche S. Torpete
hing oder auch nur dort hängen sollte. Die Geschichten der Aktionen ranken sich um Fiktionen
und Fakten, Friedensappelle und Befreiungsgesten, um Bücher mit geistlosen und geistreichen
Inhalten sowie um fragile Glasschuhe und fantasievoll bemalte Gewänder. Die Malerin und
Aktionskünstlerin Anette C. Halm zeigt einmal mehr Abgründe und glorreiche Züge einer Stadt,
die auch durch die Widersprüche liebens- und lebenswert ist.
Die Performances
Donnerstag
17.10.2024
Grand Hotel Savoia
20:00 – 21:00 Uhr
La Dolce Vita
Die Auftakt-Performance greift den Mythos des „Dolce Vita“ auf – das süße Leben als Archetyp und Sehnsucht nach einem idealisierten Leben voller Genuss, Freiheit und Sinnlichkeit. Diese Haltung durchzieht seit der Antike Generationen und wird stets neu interpretiert.
Für den Einlass zur Performance ist es erforderlich, dass Sie feinste Köstlichkeiten mitbringen – Kaviar, Champagner, Trüffel oder andere exquisite Delikatessen. Am Eingang erwartet Sie ein Portier, der darüber entscheidet, ob Ihnen die mitgebrachte Delikatesse den Zugang zur Veranstaltung öffnet.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov
Anette C. Halm
Sonntag
20.10.2024
Während des Marsches
Der Narratore des Marsches – Die Stimme von La Superba
Mit Ehre und Freude begrüßt der Narratore die Teilnehmenden und stellt ihnen „Zena“ vor, die Stadt, die als Tochter des doppelgesichtigen Gottes Janus sowohl Vergangenheit als auch Zukunft in sich trägt. Genua – die Stadt der Geschichten und Mythen. Beim Marsch durch die Stadt enthüllt der Narratore ein Kapitel ihres kulturellen und feministischen Erbes und erinnert daran, dass Genua sich nur jenen zeigt, die ihr mit Respekt begegnen und bereit sind, sich mutig in ihre Geschichte zu vertiefen.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Mario A. Cavallaro
Sonntag
20.10.2024
San Giorgio
La Superba
Britta M. Ischka erschafft die Symbolfigur von Genua: »La Superba«. In einer prächtig bemalten Robe, die von der vielfältigen Vergangenheit der Stadt erzählt leitet sie den Marsch an. Mit ihrer eindrucksvollen Präsenz verkörpert sie die Stärke und Fragilität, Vergangenheit und Gegenwart der Stadt voller Mythen und Geschichten.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Britta Ischka
Sonntag
20.10.2024
Piazza de Marini
PIUMA
Die schwarz gekleidete Andrea Isa tritt mit einer schwarzen Sturmhaube auf an der Piazza de Marini und verunsichert die umstehenden Männer durch betont friedliche Gesten: Schweigend überreicht sie weiße Federn wie Trophäen an die Leute. Die Feder wird zum Symbol des Friedens, der aggressionsfreie Gestus zum wahren Kampf für Menschen- und Frauenrechte. Die Aktion erinnert an das ›Genueser Feministische Kollektiv« aus dem Jahr 1974.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Andrea Isa
Sonntag
20.10.2024
Chiesa di San Torpete
Myth & Muse (Mito & Musa)
Jeder kunstsinnige Mensch kennt Sandro Botticellis »Geburt der Venus«, bewundert die dargestellte Göttin, ohne zu realisieren, dass ein profanes weibliches Modell dahinter stand. Sissi-Madelaine Schöllhuber gibt dieser Frau, Simonetta Cattaneo Vespucci ihre Rechte als Modell, indem sie im Bikini vor der Patronatskirche der Genueser Familie Della Volta, S. Torpete, posiert. Hintergedanke der lebendigen Skulptur ist, dass das berühmte Gemälde einst hier hing und dort wieder hängen sollte.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Sissi-Madelaine Schöllhuber
Sonntag
20.10.2024
Während des Marsches
Gretl
Die Diskriminierung der Frau durch den Mann hat immer mit Gewalt zu tun, die in Femiziden gipfeln. Diese perfide Tötung hat in Italien, Deutschland und Großbritannien eine erschreckende Zahl erreicht. Katrin Kinsler erinnert nicht nur an Giulia Cecchettin, die 2023 umgebracht wurde, sondern prangert die Perversion des Femizids sinnfällig an: In Umkehrung der Geste, einer Frau und Angebeteten Blumen zu schenken, zerstört sie mutwillig nach und nach die Blumen eines Straußes, bis er weg ist.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Katrin Kinsler
Sonntag
20.10.2024
Piazza delle Erbe
Vecchina di Vico dei Librai
Die Legenden Italiens sind voller Poesie. Eine davon erzählt von der »Vecchina di Vico dei Librai«, einer alten Frau, die in einer Genueser Gasse voller Bücherläden wohnte und alle paar Jahre als guter Geist einer vergangenen Zeit wiederkehrt. Angela Vanini spielt die alte Frau, wie sie mit alten Büchern die Piazza delle Erbe überquert und die Passanten nach der ›Vecchina« fragt und die Bücher auf ihrem Weg fallen lässt.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Angela Vanini
Sonntag
20.10.2024
Cattedrale di San Lorenzo
In-fragilité III
Yena Kim begann ihre Performance mit nur einem Schuh – eine Umkehr des Märchens, in dem der Schuh oft Identität und Bestimmung der Frau symbolisiert. Hier jedoch wird der fehlende Schuh zur Metapher für den fragilen, unsicheren Weg der Frau, die unbeirrt und selbstbestimmt ihren eigenen Weg fortsetzt.
Der doppelgesichtige Gott Giano, dessen Name der Stadt Genua den Begriff ‚Tür‘ (lateinisch ‚ianua‘) verlieh, wird in der Performance neu interpretiert. Genua zeigtauch zwei Gesichter: das eine dem Meer, das andere den Bergen zugewandt – eine Stadt zwischen Tradition und Wandel, zwischen Öffnung und Abschottung. Yena Kim zelebriert mit ihrer Performance den ambivalenten Gott des Anfangs und Endes, diesmal am Portal von San Lorenzo, wo die Madonna einst zur Königin gekrönt wurde.
Die gläsernen Schuhe, in denen Yena ihren Weg beschreitet, symbolisieren Zerbrechlichkeit und Stärke zugleich. Der Weg des Feminismus ist fragil, sein Ziel aber auch sichtbar. Während Yena bis zur Kathedrale schreitet, kann das Glas brechen: Die Schmerzen stehen für die leidvolle Legende, derzufolge die Madonna – stellvertretend für die Frauen – missbraucht oder unterdrückt wurde; von Genua zur Herrscherin gekrönt, ohne je ein eigenes Wort verkünden zu können.
Mit jedem Schritt, der das Glas unter den Füßen zerbrechen lassen könnte, wird auf die Strukturen von Macht, Identität und Geschlecht verwiesen. Die Performance fordert dazu auf, sich mit der Rolle der Frau im Wandel der Zeit auseinanderzusetzen – ein Weg der schmerzvollen Befreiung.
Text: Günter Baumann & Anette C. Halm, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Yena Kim
Montag
21.-24.10.2024
Piazza Principe
Metamorfosi
Anette C. Halm macht aus dem Stadtwappen ein Fanal. Das rote Kreuz des heiligen Georg auf weißem Grund ziert die Flagge Genuas. Genau da setzt die Künstlerin an. Ein darüber gesprayter Kreis macht aus dem Kreuzzeichen das Venus-Symbol der Frau. Dem Kreis wird im Laufe der Aktion eine gereckte Faust entgegen gehalten, die kämpferisch für die Gleichberechtigung und für die Frauenrechte einsteht.
Text: Günter Baumann, Fotografie: Mihail Ivanov, Video: Jürgen Bubeck
Anette C. Halm
Mit freundlicher Unterstützung durch das Media Art III Museum Genua (https://maiiim.it/)